
Meine berufliche Zusammenarbeit mit Katarina Türler begann mit «Dreaming by Numbers», einem Dokumentarfilm über das Lottospielen in Neapel. Katarina war damals noch am Anfang ihrer Karriere. Ich suchte nach einer Editorin, die Italienisch spricht, weil es mir wichtig schien, dass sie nicht nur das Material, sondern auch den Kontext und die Nuancen des Gefilmten versteht.
Ich erinnere mich, dass mir zu einem erfahrenen Editor geraten wurde, da es mein erster Dokumentarfilm in Spielfilmlänge war. Doch das interessierte mich weniger. Für mich sind ein gutes Feeling und eine gute Kommunikation wichtiger. Ich glaube, dass es neben dem fachlichen Können entscheidend ist, sich mit einer Editorin gut zu verstehen. Schliesslich verbringt man viel Zeit miteinander und ich bin überzeugt, dass eine harmonische und konfliktfreie Atmosphäre entscheidend ist für den Erfolg eines Films. Nachdem ich Katarina kennengelernt hatte, war mir sofort klar, dass sie die perfekte Person für den Job ist. Sie ist sehr geduldig und nimmt sich die Zeit, das gesamte Material mehrmals durchzusehen. Das ist nützlich, denn Szenen, die eine Regisseurin von vornherein ausgeschlossen hat, sieht die Editorin mit anderen Augen und kann sie so einbauen, dass sie auf eine ungeahnte Art funktionieren.
Ich denke, dass für alle kreativen Tätigkeiten eine gute Beobachtungsgabe und die Fähigkeit zuzuhören vonnöten sind. Der Antrieb sollte eine innere Neugier sein – und diese hat Katarina. Dies ermöglicht ihr, an vielfältigen Projekten und mit Regisseuren zu arbeiten, die sich bezüglich künstlerischem Background und Erfahrungsschatz stark unterscheiden.
Beim Schneiden von «Dreaming by Numbers» hatte es Katarina mit relativ wenigen Stunden Filmmaterial zu tun. Sie hatte bereits Dokumentarfilme geschnitten, bei denen sie über sehr umfangreiches Ausgangsmaterial verfügte, was erfahrungsgemäss kompliziert sein kann. Doch obschon viele Entscheidungen bereits in der Produktion getroffen wurden, war sie im Schneideraum immer noch mit verschiedenen Schwierigkeiten konfrontiert. Eine Szene oder eine Figur hat eine ganz andere Wirkung, wenn sie am Anfang einer Handlung steht. Vielleicht ist es eine der Lieblingsszenen des Regisseurs, aber an einer bestimmten Stelle des Films funktioniert sie nicht. Auch hier hat Katarina ein Gefühl dafür, wie sie der Geschichte Spannung verleihen kann.
Wir experimentierten zusammen beim Rhythmus des Films. Es gibt Szenen, die langsam geschnitten sind, und solche, die ein viel schnelleres Tempo haben. Neapel war für uns eine Stadt der Gegensätze. Eine Stadt, in der die Dinge entweder gemächlich oder rasant schnell geschehen. Eine Stadt mit sehr harten Realitäten und Situationen, die aber auch von viel Zärtlichkeit und Leichtigkeit geprägt ist. Diese Eindrücke wollten wir auch mit dem Schnitt zum Ausdruck bringen. Ich erinnere mich, dass ich eines Tages in den Schneideraum kam und Katarina eine Szene ohne mich geschnitten hatte. In der Szene spielte eine Gruppe Männer auf der Strasse Karten, dabei diente ihnen eine Kartonschachtel als Tisch. Die Szene war perfekt – und das lag am Rhythmus!
Meiner Meinung nach liegt das grosse Talent von Katarina darin, mit dem Schnitt optimal und immer zurückhaltend das auszudrücken, was die Regie sagen will und was die Geschichte braucht. Katarina arbeitet intuitiv, sie ist keine übermässig konzeptionell denkende Person. Sie ist mit Leidenschaft bei der Arbeit und hat die Fähigkeit, vor allem auf emotionaler Ebene einen Film zu schaffen, der die Herzen des Publikums erreicht. Und das ist in meinen Augen das Wichtigste überhaupt, denn es gibt uns das Gefühl, dass eine Geschichte authentisch ist, die Figuren echt sind und dass wir etwas erzählen, das sehenswert ist.
- Anna Bucchetti, Regisseurin