In den siebziger und achtziger Jahren machte Andy Warhols «Factory» New York zu einem Epizentrum der experimentellen Kunst. In ihrem diesjährigen «Histoires»-Programm widmen sich die Solothurner Filmtage den Schweizer:innen der Szene. Die thematische Filmreihe rückt eine Auswahl neu oder kürzlich digitalisierter Werke ins Licht.
«In der Zukunft wird jede:r 15 Minuten lang berühmt sein», lautet ein bekannter Ausspruch des legendären Pop- Artists Andy Warhol. Er hatte gut reden: Sein New Yorker Studio «The Factory» war von 1963 bis zu seinem Tod 1987 ein Treffpunkt für schillernde Persönlichkeiten und aufstrebende Künstler:innen, von denen viele – Lou Reed, Keith Haring, Jean-Michel Basquiat – Weltruhm erlangen sollten. Mit ihrem grossen Netzwerk und interdisziplinären Profil war die «Factory» auch eine Geburtshelferin für die No-Wave- Szene, die ab den siebziger Jahren Musik, Malerei und Film aufmischte. Was damals Underground war, wurde später Pop. Aus diesen Rändern entstand die Ästhetik, die unsere Welt über Jahrzehnte geprägt hat – eine Entwicklung, die auch heute noch daran erinnert, dass die Zukunft der Kunst oft aus unerwarteten Richtungen kommt.
Die Filmtage präsentieren ein Programm aus fünf langen und vier kurzen Filmen, die unter Schweizer Mithilfe in diesem Dunstkreis entstanden sind. Dass diese Werke vom Streben nach Berühmtheit handeln, ist sicherlich kein Zufall. Zwei davon wurden von Ruth Waldburger produziert, einer der renommiertesten Schweizer Produzentinnen überhaupt.
In Tom DiCillos «Johnny Suede» (1991) spielt der 27-jährige Brad Pitt in seiner ersten Hauptrolle einen mässig begabten Rockabilly-Enthusiasten mit ausladender Pompadour-Frisur, der im No-Wave-New-York vergeblich nach Ruhm und Ehre sucht. Ähnliches spielt sich im herbstlichen Roadmovie «Candy Mountain» (1987) von Fotograf Robert Frank und Autor Rudy Wurlitzer ab: Auch hier wird in einer Lakonie, wie man sie vor allem mit No-Wave-Alumnus Jim Jarmusch assoziiert, von einem glücklosen New Yorker Musiker erzählt, der sein Karriere-Heil in den Geistern der Vergangenheit sucht.
Und auch der dritte Langspielfilm im Programm, Jane Spencers Komödie «Little Noises», die 1991 in Sundance uraufgeführt und seither nie mehr gezeigt wurde, behandelt die Tücken des Strebens nach Ruhm – am Beispiel eines Schriftstellers (Crispin Glover), der mit den Gedichten seines gehörlosen Freundes endlich Erfolg findet. In einer Neben- rolle ist hier der Basler Gianin Loffler zu sehen.
Die Schweiz nahm aber auch abseits dieser Fiktionen aktiv an New Yorks Avantgarde teil. Bereits 1978 produzierte hier Isa Hesse-Rabinovitch die essayistische Doku-Collage «Julie From Ohio», in der Trudy Rosens Bilderserien mit dem Fotomodell Julie Nero auf Neros Bericht von einer Italienreise treffen, auf der sie ihre Familienhistorie aufarbeitet. 1981 fügte Jürg Egli Bilder von seinen Sprüngen an ikonischen New Yorker Schauplätzen zum spielerischen Experimentalfilm «Jumps – New York 81» zusammen. Und rund zehn Jahre später drehte die Regisseurin Gitta Gsell mit «Perception» (1990) und «Tension» (1990) zwei Tanz- und Performance-Kurzfilme, die eindrückliche Choreografien mit markanten Drehorten verbinden.
Abgerundet wird das Programm von zwei Filmen des gebürtigen Luganers Edo Bertoglio, der bis 1990 ein be- deutender Fotochronist des Warhol- und No-Wave-New- Yorks war. «Downtown 81» (1981 / 2000) zeigt einen fiktionalisierten Tag im Leben von Graffiti-Künstler Basquiat, der bei der Entstehung der Aufnahmen noch kein Star war; in «Face Addict» (2005) schliesst er mit seiner Zeit in New York ab: Die dokumentarischen Memoiren sind sowohl eine Hommage an die wilden Partys und die ausufernde Kreativität der Szene als auch eine ambivalente Reflexion über verschenktes Potenzial, allzu jung verstorbene Weggefährt:innen, Aids und die grassierende Drogensucht, die 1990 auch Bertoglio zur Heimreise zwang.
– Alan Mattli, Filmjournalist