Das Programm «Rencontre» rückt ein poetisches und äusserst aktuelles Werk ins Licht. Die Genfer Regisseurin Edna Politi schuf Filme zu den Themen Nahost, Musik sowie sozialkritische Reportagen. Auch mit ihrer Sensibilität für die Perspektive von Frauen war sie ihrer Zeit voraus.
Edna Politi (*1948) hat mehrere Seelen in ihrer Brust – sie wuchs als libanesische Jüdin im Libanon auf, später wurde sie israelische, dann französische Staatsbürgerin. Seit vier Jahrzehnten lebt und arbeitet sie in Genf. Sie gilt als wichtige Stimme des interkulturellen Dialogs. Ihre Filme bewegen sich fliessend zwischen arabischen, jüdischen und europäischen Welten.
Etymologie der Kaktusfeige
In den 1970er Jahren gehört Edna Politi zu den ersten Frauen, die an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) ausgebildet werden. Während des Oktoberkriegs 1973 (auch bekannt als Jom-Kippur-Krieg) realisiert sie ihren ersten Film, «Für die Palästinenser» – eine historisch fundierte Analyse zur damaligen Lage. Treffend wird die Okkupation am Wort «Sabbars» illustriert: So heisst der palästinensische Name einer Kakteenpflanze, die Dörfer beschützt. Gleichzeitig bezeichnen die Israeli mit «Sabbars» ihre eigenen Kinder: stachelig von aussen, aber süss von innen. Wäre eine arabisch-israelische Beziehung vielleicht auf einem anderen Territorium möglich? Diese Frage untersucht der Spielfilm «Wie das Meer und seine Wogen» (1979), der in Paris und Marseille gedreht wurde. Die Antwort: Es ist kompliziert. Oder vielleicht sogar utopisch? Edna Politis Porträt von sechs Frauen, die in den 1920er Jahren mit zionistischen, sozialistischen und feministischen Idealen nach Palästina ausgewandert waren («Anou Banou oder die Töchter der Utopie», 1983), legt eindrücklich offen, wie sich das Denkbare zum Machbaren verhält. Und dass auch Europa nicht nur Zaungast der Konflikte war, die wir heute im Nahen Osten sehen.
Produktives Zuhören
In den 1980er Jahren realisiert Edna Politi über zwanzig mittellange Reportagen, darunter einen Film über die Swissair, das damalige Schweizer Vorzeigeunternehmen in Sachen Gleichstellung («Tell Quel – Un ticket pour l’égalité»). Auch wenn ihr politisches Engagement stets präsent bleibt, interessiert sich Edna Politi nun zunehmend für künstlerische Schaffensprozesse und die Suche nach einer neuen filmischen Sprache. Sie arbeitet eng mit Contrechamps zusammen, dem Genfer Zentrum für Musik des 20. Jahrhunderts. Das produktive Zuhören bei der Entstehung eines Kunstwerks ist Thema von «Le Quatuor des Possibles» (1992), wo die Regisseurin mit dem Avantgardisten Luigi Nono – einer Art Bruder im Geist – in Dialog tritt. Auch «Ombres» (1997), eine Annäherung an den Schweizer Komponisten Heinz Holliger, fällt in diese Schaffensphase.
In den meisten ihrer Dokumentarfilme hat Edna Politi die Off-Stimme selber eingesprochen. Die Formulierung einer präzisen Haltung, aber auch der empathische Zugang zu den Menschen und Themen, denen sie begegnet, machen dieses Œuvre glaubwürdig. Dass ihre Stimme darin mal deutsch, mal französisch, hebräisch oder arabisch zu hören ist, ist durchaus von Bedeutung. Es ermöglicht dem Publikum, die Perspektive des «anderen» einzunehmen. Und vorerst nicht zu urteilen.
Die Filmemacherin wird vom 23. bis 26. Januar 2026 in Solothurn anwesend sein und ihre Filme persönlich vorstellen. In einem vertiefenden Gespräch gibt sie exklusiv Einblick in ihr aktuelles Projekt – die Erzählung «Le sourire du Sphinx», eine politische Fiktion.